Luxus spielt in vielen Wintersportorten nicht
erst seit heute eine grosse Rolle. Die Ortschaft Megève in den Savoyer Alpen am Fusse des Mont
Blanc ist dafür ein perfektes Beispiel. Sogar einen eigenen Gebirgsflughafen trifft man
hier an, der der Prominenz den Weg in den mondänen Ort verkürzt. Bereits seit über einem
Jahrhundert ist Megève in Frankreich ein Synonym für einen luxuriösen Aufenthalt in den Bergen.
Seinen Lauf nimmt der Aufstieg von Megève 1921 mit der Eröffnung eines Luxushotels durch den
Baron Maurice de Rothschild, dessen Familie sich nach St. Moritz ein neues Domizil sucht.
Wenig überraschend sorgt der Wintertourismus in Megève auch schon früh dafür, dass die umliegenden
Gipfel mit ersten Seilbahnen erschlossen werden. Die Téléphérique de Rochebrune gibt 1933
als erste grosse Pendelbahn den Startschuss. Und auch wenn mittlerweile nicht mehr
allzu viele Teile von damals original erhalten sind, so lässt sich der Pioniergeist der
Zwischenkriegszeit hier auch heute noch erleben.
Zu verdanken ist diese erste Aufstiegshilfe
allerdings nicht der Familie Rothschild, sondern einem Einheimischen. Der Forstunternehmer
Charles Viard kommt in seinem Beruf schon früh mit Seilbahnen in Kontakt. Es sind
rudimentäre Anlagen für den Holztransport, doch Viard sieht in der Technologie auch ein
Potenzial für die Erleichterung des Aufstiegs der immer zahlreicheren Wintersportler in
Megève. Während in den Nachbarländern zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche grosse
Luftseilbahnen für den Skisport entstehen, kann Frankreich lediglich das Erstlingswerk
unterhalb der Aiguille du Midi vorweisen. Die dortige Seilbahn ist 1924 die erste grössere
Pendelbahn des Landes und findet unter anderem im Rahmen der olympischen Winterspiele Verwendung.
Inspiriert von den aufkommenden Skistationen in Österreich und Italien widmet sich Charles Viard
daher den Planungen für eine Seilbahn von Megève auf den knapp 1800 Meter hohen Gipfel Rochebrune.
Mangels Erfahrung in der Umsetzung eines solch grossen Bauprojekts kooperiert der Pionier mit
dem saarländischen Seilbahnhersteller Heckel. Neben den deutschen Firmen Bleichert und Pohlig
zählt das in Rohrbach bei Saarbrücken beheimatete Unternehmen zu den weltweit führenden Herstellern.
Und da das Saargebiet seinerzeit noch nicht wieder zum deutschen Reich gehört, unterhält
Heckel auch bessere Kontakte nach Frankreich als seine direkten Konkurrenten. 1933 kann die
Luftseilbahn als erste gezielt für den Skisport konstruierte Anlage ihrer Art in Frankreich
schliesslich feierlich eröffnet werden.
Von der ursprünglichen Bausubstanz ist heute
nicht mehr allzu viel zu sehen. Noch in den 30er Jahren werden die offenen Perrons in der
Talstation vollständig verkleidet und bald darauf um ein Restaurant ergänzt. Die Entwicklung
von Megève als Touristenmagnet sorgt zudem dafür, dass die Förderleistung der Anlage immer wieder
erhöht werden muss. Die Originalkabinen mit einem Fassungsvermögen von 20 Personen werden daher
schon 1947 durch 30-plätzige Exemplare ersetzt, 1953 folgt im Rahmen eines grösseren Umbaus
durch Applevage die dritte Kabinengeneration. Um den grösseren Kabinen Platz in den
Stationen zu bieten, ragt der Ein- und Ausstiegsbereich seither aus dem ursprünglichen
Gebäude hinaus. Am Berg ist man mittlerweile zu einer komplett offenen Bauweise übergegangen.
Auch in technischer Hinsicht hat die heutige Anlage nicht mehr allzu viel mit dem Original
gemeinsam. Immer wieder gibt es im Laufe der Jahre konkrete Pläne für den Ersatz durch eine
Kabinenbahn, die letztlich aber auf anderer Trasse als Ergänzung zum Stehen kommt. So folgt in der
zweiten Hälfte der 90er Jahre eine weitere grosse Renovation durch Poma, bei der Antrieb und Kabinen
erneut ersetzt werden. Die ebenfalls ersetzten Laufwerke kommens seither ohne Fangbremse aus.
Noch immer dem Ursprungszustand entspricht dagegen die Zahl der Seile. Neben einem Tragseil
pro Fahrspur sind nach wie vor zwei Zugseile im Einsatz. Und auch entlang der Strecke sind die
Veränderungen gegenüber dem Original gering. Die Stützen entsprechen noch immer weitgehend
den Konstruktionen von Heckel, lediglich die unterste wird im Rahmen des Umbaus in den 50er
Jahren um einen zweiten Fachwerkträger ergänzt.
Seit dem Jahr 2021 ist die nunmehr fünfte
Kabinengeneration im Einsatz. Die neuen Exemplare stammen erneut von Sigma und kommen
wieder in der während langer Jahre so typischen roten Farbgebung daher. Trotz der modernen
Akzente ist die traditionsreiche Geschichte dieser Seilbahn nach wie vor allgegenwärtig.
Es ist durchaus überraschend, dass sich das einstige Pionierprojekt inmitten des sonst so
durchmodernisierten Skigebiets Evasion Mont Blanc auch über neun Jahrzehnte später noch immer
halten kann. Doch die Seilbahn Rochebrune ist über die Jahre zu einem Synonym für Megève geworden.
Und der Vater der Seilbahn, Charles Viard? Dieser gründet nach dem erfolgreichen Auftakt mehrere
Firmen, die sich mit dem Bau und Betrieb von Seilbahnen in der Region beschäftigen. Mit
seiner Société d'Equipement des Stations de Sports d'Hiver, kurz SSH, erwirbt Viard auch
Lizenzen für den Bau von Schleppliften des Bügellifterfinders Ernst Constam und später für
Technik des Seilbahnpioniers Gerhard Müller. Bis in die 60er Jahre hinein ist der familiengeführte
Betrieb daraufhin auf dem Savoyer Seilbahnmarkt präsent. In Megève lebt das Erbe mit der
Luftseilbahn Rochebrune auch heute noch weiter.