Freude, Frust und Angst – Sachsen und Thüringen nach den Wahlen | Doku

Intro *** Es macht mir Angst, was jetzt kommen könnte. Das macht mir für meine Kinder große Angst. Deswegen muss ich heute noch mal durchatmen. Ich finde gut, dass jahrelange Ignoranz und v.a. auch völlige Inkompetenz gestern abgewählt wurde. Denkzettel ist das eine. Aber es muss ja weitergehen. Eine demokratische Regierung in der jetzigen Form? Ich weiß nicht, wie es funktionieren soll. Die AfD legt zu – was passiert jetzt? Vergangener Sonntag, Punkt 18 Uhr. Urne ist leer. Das ist offiziell. Dann können wir jetzt mit dem Sortieren beginnen. Die Stunde der Wahrheit hat geschlagen. Die Wahllokale sind geschlossen. Und jetzt muss nur noch ausgezählt werden. In Themar an der Werra im Landkreis Hildburghausen zeigt sich beim ersten Sortieren, wer obenauf liegt. 245 plus 5 sind 250 bei der AfD, Die Grünen haben 3. FDP 2. Tierschutz hier 9. Am Ende sind es hier in Themar 516 Stimmen für die AfD. Im gesamten Wahlkreis liegt sie bei 40%. Grüne, FDP und SPD - pulverisiert. Zusammen erhalten sie hier nur 5,6% der Stimmen. Vor dem Wahllokal treffen sich Beate Trümpert, Daniela Schreiber-Turko und Tim Kirsten. Alle drei sind im Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra aktiv. Sie setzen sich ein gegen Rechtsextremismus, für mehr Miteinander. Was passiert jetzt? Also diese Sorge: Wir wissen nicht, was jetzt passiert. Vielleicht passiert es schleichend oder schnell. Schlimm ist, dass es normalisiert wird. Du merkst auf jeder Familienfeier, wie es eingesickert ist. Völkische Position, Relativierung von Nationalsozialismus und Holocaust. Also das ist hier angekommen, das musst du als Realität ansehen. Mit Spannung verfolgen sie die ersten Hochrechnungen. Um 18:55 Uhr liegt die AfD in Thüringen bei rund 31%. Bis zum finalen Ergebnis werden noch knapp 2 Prozentpunkte dazukommen. Man kommt sich ja vor, als wären wir diejenigen, die nur noch wenige wären. Obwohl man auch sagen muss, es sind 31%, die die AfD gewählt haben. Es sind aber trotzdem mehr, die sie nicht gewählt haben. Das darf man nicht vergessen. Aber trotzdem macht es Angst, dass es noch mehr werden. Und wir wissen, dass es so schon mal angefangen hat. Montagsdemos in Hildburghausen – Protest und Frust Einen Tag später. Wie jeden Montag demonstrieren Menschen in der Stadt Hildburghausen. Viele von ihnen haben ihr Kreuz bei der AfD gemacht. Die große Frage für sie: Hat die AfD in Thüringen nun eine reale Machtoption? Das kann nur ein Anfang sein, weil sie noch nichts bewegen können. Die AfD. - Ja. Noch nicht. Aber es muss was passieren, sonst geht Deutschland vor die Hunde. Es ist die einzige Partei, die im Parteiprogramm von der direkten Demokratie reden. Bürgerentscheidung, das vermisse ich bei den anderen. Wenn das antidemokratisch ist, wer ist dann noch Demokrat? Wir wünschen uns alle, dass etwas Positives rüberkommt, dass die Menschen mitgenommen werden, v.a. auch die AfD-Wähler. Denn das ist 1/3 der wahlberechtigten Bevölkerung. Die kann man nicht schneiden, die müssen mitgenommen werden. Frank Schelhorn ist Vortrommler und Tonangeber. Er hat sich mit uns zu einem Gespräch verabredet, am Bismarckturm bei Hildburghausen. Inmitten der ländlichen Idylle des südlichen Thüringens. Wie es nun weitergehen soll? Er hat eine klare Vorstellung. Ich würde als erstes ... alle Brandmaurer in Deutschland fristlos entlassen. Wir brauchen in diesem Land keine Brandmaurer. Wir brauchen Zäune-Abreißer. Wir brauchen Menschen, die bereit sind, ein Stück weit von sich selber herzugeben. Um für die anderen was zu öffnen, um Handlungsfreiheit möglich zu machen. Der Wählerwille müsse respektiert werden, sagt Schelhorn. Ansonsten lasse sich die gesellschaftliche Spaltung, das gefühlte Gegeneinander, nicht mehr lösen. Wenn man die AfD, die Partei mit den meisten Wählerstimmen, mit aller Gewalt von der Macht fernhält: Dann ist man undemokratisch. Weil dann habe ich das Stimmrecht nicht akzeptiert. Mein Wille, das, was ich mir vorstelle, wird nicht mehr gehört. Wenn das nicht mehr gehört wird, dann fühle ich mich auch nicht mehr dazugehörig. Das heißt, ich stehe dem Ganzen so gegenüber. Das darf nicht sein. CDU-Wähler und Demokratie-Engagierte über die Wahlergebnisse Die ersten Stimmen aus der Politik deuten in eine andere Richtung. Die CDU will nun auf die SPD und auf das Bündnis Sahra Wagenknecht zugehen. Ein Titel dafür kursiert bereits: Brombeerkoalition. Thomas und Carmen Imber aus Schleusingen haben die CDU gewählt. Wie seit Jahren. Das Wahlergebnis hinterlässt bei ihnen nun v.a. eins: Ratlosigkeit. Da war man erschrocken gewesen, wie die Prozente für die AfD, aber auch für Sahra Wagenknecht ... Die Prognosen waren vorher schon recht deutlich. Wir dachten immer noch, dass die Leute die AfD nicht in dem Maße wählen. Aber es ist doch so gekommen. Noch höher wie vermutet. - Noch höher wie vermutet. Wer soll, wer kann regieren? Die Minderheitsregierung unter Ramelow ablösen? Eine Koalition von BSW und CDU? Wäre das noch Ihre CDU? Das wäre nicht mehr unsere CDU. Weil dann die Werte, v.a. mit Links, mit BSW, für uns nicht mehr ausschlaggebend wären. Dann müssen wir sagen, dann hätte man die Wahlversprechen in der Form nicht eingehalten. Aber was soll sonst noch möglich sein? Außer, die Brandmauer zur AfD fällt doch. Viele sagen, lasst sie in Regierungsverantwortung kommen, dann werden wir sehen, was unterm Strich bleibt. In Berlin ist es das Gleiche im Bundestag. Sie waren auch noch nie in Verantwortung. Da kann ich immer schöne Reden halten. Das gehört dann auch dazu. Aber es ist ein schwieriger Patt. Schwierig bleibt es für das Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra. Erst die Kommunal- und Europa-, nun die Landtagswahl. Die politische Landschaft hat sich verändert. Jetzt ist es wieder so geworden. Es ist erst mal ein ... "Erst mal durchatmen und dann Krone richten", und weiter geht es. Rechte Demo in Bautzen, Sachsen – wie sehen die Demonstranten die Ergebnisse? Einen Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen. Auf dem Kornmarkt in Bautzen versammeln sich auch viele AfD-Sympathisanten. Wir versuchen, ins Gespräch zu kommen. Wie bewerten Sie einen Tag danach das Wahlergebnis? Hat er schon die Kamera an? Er hat die Kamera an, na klar. - Aus die Kamera. Aus die Kamera! Aus das Ding! In der Stadt Bautzen hat die AfD mit knapp 36% die meisten Stimmen geholt und 4 von 5 Wahlkreisen gewonnen. Auf Landesebene wurde sie zweitstärkste Kraft, knapp hinter der CDU. Das drückt bei einigen auf die Stimmung. Die deutschen Medien würden am Wahlausgang eine Mitschuld tragen. Was ist das jetzt hier, MDR. Wenn man das konsumiert hat, diese ganzen Journalien, was da so ist: AfD, immer Hass und Hetze. Was soll man dazu sagen? Der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse versucht, die Ergebnisse einzuordnen. An eine Koalition zwischen AfD und CDU glaubt er nicht. Ob das Herr Kretschmer machen wird? Ich gehe davon aus, dass er lieber mit den Altkommunisten von BSW und den grünen Kommunisten oder den Sozis zusammengehen wird. Reichsbürger, Freie Sachsen, Neonazis – Montagsdemos seit Corona Reichsflaggen und Fahnen der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen" sind hier weit verbreitet. Auch diese jungen Neonazis mit szenetypischer Kleidung sind vor Ort, "Ruhm und Ehre dem deutschen Soldat". An solchen Aufschriften stört sich offenbar niemand. Im Gegenteil, der Trupp gibt beim anschließenden Umzug den Ton an. (alle) Raus, raus, raus. Seit Corona treffen sich hier jeden Montag Systemkritiker, Reichsbürger und Neonazis. Heute sind es etwa 350 Teilnehmer. Ihr Thema: Das aufgrund eines Softwarefehlers korrigierte Wahlergebnis, wonach CDU und AfD jeweils einen Sitz verloren haben. Der Landesverband der AfD verpasst damit die Sperrminorität, eine wichtige Einflussmöglichkeit im Landtag. Einige wittern eine Verschwörung. Was meinen Sie? Mit der Sperrminorität? Ja. Denken Sie, das war kein Fehler, sondern Absicht? Das war Absicht. AfD-Bundestagsabgeordnter Karsten Hilse über das Ergebnis der AfD Karsten Hilse hat bei der Bundestagswahl 2021 für die AfD in Bautzen ein Direktmandat geholt. Er glaubt nicht an Wahlbetrug und sucht nach Gründen, warum es in Sachsen nicht zum großen Wurf gereicht hat. Im ländlichen Bereich haben wir hohe Zustimmungswerte. Wir haben hier eine Gemeinde, die hatte 56%. Aber in den Städten, wo die Leute anders sozialisiert sind, wo sie andere Erfahrungen machen als im ländlichen Bereich: Dort wählen sie dann entweder erstens linke Parteien. Oder sagen sich: Sicher ist sicher. Gefällt mir zwar, was die AfD sagt, aber vielleicht sind sie doch Nationalsozialisten. Es gibt mehrere Gründe. Was sind die Voraussetzungen für die AfD um zu regieren? Die AfD würde gern in Sachsen mitregieren, doch keiner will mit ihr koalieren. Politikwissenschaftler Oliver Lembcke sagt: Damit das passiert, müsse sich die Partei vom Extremismus lossagen. Das setzt voraus, dass sie in der Lage ist, eine Normalisierung, die sie nur behauptet, vorspielt, durch das Einladen zu Koalitionsgesprächen. Oder Sondierungsgesprächen. Es ist ein Vorspielen einer Normalität, die in dieser Partei nicht existiert. Montagsdemo in Gera feiert Björn Höcke und den Wahlsieg der AfD in Thüringen Montagsdemo auch in Gera, seit Corona-Zeiten hier fest etabliert. Heute sind es etwa 300 Teilnehmer. An diesem Abend feiern sie den deutlichen AfD-Wahlsieg in Thüringen. Jetzt ist es unsere Aufgabe, dieser Regierung zu zeigen: Dass 33% der Thüringer die AfD gewählt haben, dass wir der AfD den Regierungsauftrag gegeben haben. Und dass unser Ministerpräsident Björn Höcke heißt. Der Redner ist Christian Klar, der seit Jahren diese Proteste anführt. Der landesweit bekannte Rechtsextremist bringt regelmäßig Hunderte Gleichgesinnte auf die Straße. Unter den Teilnehmern ist auch Wolfgang Lauerwald. Er hat für die AfD mit über 40% in Gera ein Direktmandat errungen und marschiert regelmäßig montags mit. Ich wünsche mir, dass noch mehr AfDler am Montag auf die Straße kommen. Dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Denn wir müssen noch viel mehr werden. Ein Schulterschluss zwischen AfD, Neonazis und Unzufriedenen. Unsere Dreharbeiten werden behindert. Gezielt drängen sich Fahnenträger vor uns, um uns die Sicht zu nehmen. „Nie wieder ist jetzt“ – Stimmen auf der Anti-AfD-Demo in Gera Stunden zuvor. Um die Ecke gibt es Gegenprotest, wie seit Wochen schon. Unter dem Motto: "Nie wieder ist jetzt." Wie wurde hier das Wahlergebnis aufgenommen? Ich habe gestern bis 18 Uhr gehofft. Und nach 18 Uhr? - Da war ich traurig und entsetzt. "Nach dem Dritten reicht es", was das heißt? Wir haben es ja vor der Tür und dürfen beobachten, was unsere Großeltern 1933 beobachten durften. Und sich evtl. nicht dagegengestellt haben. Nach dem Dritten reicht es, ein Viertes ist nicht notwendig. Wie es in der Landespolitik nun weitergeht, ist unklar. Aber in Kommunen wie in Gera stellt die AfD seit Jahren die stärkste Fraktion. Hier in Gera haben wir einen Stadtratsvorsitzenden, wiederholt von der AfD. Auch mit Stimmen der CDU ist der Fraktionsvorsitzende der AfD zum Ehrenstadtrats-Mitglied gewählt worden. Was sagen Sie zur Brandmauer? Die Brandmauer existiert in Gera nicht. Sie existiert in Teilen der CDU leider nicht. Oliver Lembecke sagt: Die Brandmauer sei auf kommunaler Ebene gefallen. Wird die Brandmauer fallen? Eine Chance für die AfD? Diese Verklammerung zwischen kommunaler Ebene und Landesebene hinsichtlich der Realität der Brandmauer: Das wird dafür sorgen, dass die AfD über die kommunale Ebene Druck auf das Parteiensystem im Land aufbauen kann. Zurück auf der rechten Demo. Hier gibt es Zweifel, dass die AfD auf Landesebene künftig mitregiert, so AfD-Politiker Wolfgang Lauerwald. Jetzt werden BSW, CDU und Linke zusammenkommen. So befürchte ich das. So wird es sein. Die werden alle zusammenkratzen, nur um die AfD zu verhindern. Und wie finden Sie das? - Nicht demokratisch. In einer Demokratie geht es um Mehrheiten. Auch wenn es hier einigen offenbar schwerfällt, das zu akzeptieren. BSW-Kandidaten – wer sind die Neueinsteiger im Landtag? Am Tag nach der Landtagswahl. An seinem Wohnsitz, einer Ortschaft nördlich von Erfurt, hängt Sven Küntzel Wahlplakate ab. (Reporter) Wie hat das Wahlergebnis auf Sie gewirkt? Also 16% ... für das BSW, das ist ein erfreuliches Ergebnis. Natürlich AfD 30%, etwas über 30%. Das ist etwas traurig. Aber grundsätzlich sind wir zufrieden mit unserem Ergebnis. Und Sie sind im Landtag. - Ja, so sieht es mal aus. Sven Küntzel wird von jetzt auf gleich in die große Landespolitik katapultiert. Bisschen grummeliges Gefühl ist es schon. So etwas erleben zzt. viele Kandidaten vom Bündnis Sahra Wagenknecht. Dass sie sich als politische Neueinsteiger von heute auf morgen im Landtag wiederfinden. Das BSW hat in Thüringen 15 Landtagsmandate erreicht. Doch etwa die Hälfte der Kandidaten hat wenig oder keine politische Erfahrung. Eine der Neuen ist Nina Behrendt. Die 41-jährige Wirtschaftsfachwirtin treffen wir 3 Tage vor der Wahl bei einem Auftritt von Sahra Wagenknecht in Erfurt. (Reporter) Warum sind Sie in die Politik? Ich habe mich dafür entschieden, weil die letzten Jahre relativ maßgebliche Änderungen hatten. Und man einfach selber ins Grübeln gekommen ist. Über die Corona-Maßnahmen, dann die Energiekrise etc., der Ukraine-Krieg natürlich. Das macht einem irgendwo Angst. Man hat das Gefühl selber gehabt: Die Politik ist nicht mehr bei mir, sie ist nicht mehr beim Bürger. Sven Küntzel ist ein Polizeibeamter, der sich ehrenamtlich im Gemeinderat seines Wohnorts engagiert hat. Erst über die Linkspartei, ohne Mitglied zu sein, dann über eine freie Liste. Beruflich war er zumindest in der Nähe der großen Politik. Ich bin Sachbearbeiter im Ministerium für Inneres und Kommunales, in der Polizeiabteilung als Polizei-Vollzugsbeamter. Und dort im Bereich Aus- und Fortbildung der Polizei, also im Referat 46. Haben Sie die Kisten schon gepackt? - Nein, noch nicht. Man muss mit allen Eventualitäten rechnen. Das habe ich erst mal bewusst nicht gemacht. Sahra Wagenknecht vor der Wahl in Erfurt Wieder auf dem Domplatz in Erfurt, noch vor der Wahl. Warten auf Sahra Wagenknecht. Dann kommt sie. Sind Sie aufgeregt? - Ja, ein wenig. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde nein. *Applaus* Sahra Wagenknecht! So kann man doch nicht Regierungsverantwortung haben. So kann man doch nicht unser Land regieren, wo eine Maßnahme nicht zur anderen passt. Natürlich haben Sie alle auch die Macht, das Ende dieser unsäglichen Ampel einzuleiten. Ich glaube, auch darum geht es am Wochenende. Regierung in Thüringen – Wer mit wem? Nach der Landtagswahl fragt man sich in Thüringen: Wer mit wem? Der Noch-Polizeibeamte und Landtagsneuling Sven Küntzel sieht die Schwierigkeiten. (Reporter) So wie es aussieht, wird die Regierungsbildung nicht ohne BSW gehen. Aber Mehrheiten gibt es auch nicht mit CDU, SPD und BSW. Wie sehen Sie das? Das heißt, dass die CDU, um Mehrheiten zu finden, sich der Linkspartei zuwenden muss, wenn sie regieren will. Wie sehen Sie das? Das liegt in erster Linie an der CDU. Wir reden mit allen demokratischen Parteien. Dazu gehört die Linkspartei. Welche Mehrheiten zustande kommen, wird künftig auch für Nina Behrendt wichtig sein. Wir treffen sie in Erfurt in der Geschäftsstelle des BSW. Neu in der Politik und in den Landtag: Birgt das nicht Risiken? Man braucht auch für das politische Geschäft Erfahrung? Viele Politik-Neueinsteiger beim BSW – ein Risiko? Es ist ein schwieriges Geschäft. - Richtig. Ich denke, da ergänzen wir uns ... in unserem Landesverband sehr gut. Sie sehen kein Risiko für die Partei? Eine Entzauberung, die sich einstellt, wenn unerfahrene Leute in Ämter kommen? Jeder Politiker hat irgendwann mal angefangen. Aber so viele auf einmal? Beim Berufsschulzentrum in Jena treffen wir Dirk Hoffmeister, Gymnasiallehrer für Deutsch und Russisch. Er war 20 Jahre SPD-Mitglied. Nun hat auch er für das BSW auf Anhieb den Sprung in den Landtag geschafft. Hoffmeister hält die vielen Neueinsteiger beim BSW nicht für ein Risiko. (Reporter) Das BSW wäre nicht die erste Partei, die durch reale Beteiligung an der Politik, am politischen Alltag entzaubert würde. Ist das zu befürchten? Ich denke nicht. Die Ziele, die wir in unserem Programm haben, die Ziele, mit denen wir im Parlament sind, sind die Ziele, die die Gesellschaft voranbringen. Glauben das nicht andere Parteien auch von ihren Zielen? Das denke ich schon, uns unterscheidet aber von anderen, dass diejenigen, die jetzt antreten, aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Und die anderen sind Theoretiker? - Wenn man so will, ja. Koalition mit dem BSW – wer würde es tun? Man ist selbstbewusst beim BSW. Ob es zu einer Regierungsbeteiligung kommt, ist offen. Gerade in der CDU werden aktuell Stimmen lauter, die vor einer Zusammenarbeit mit dem BSW warnen. Wir danken euch ganz herzlich Linke erleichtert – dank Direktmandaten von Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen im Parlament in Sachsen für euren engagierten und mutigen Wahlkampf. Die Parteispitze der sächsischen Linken ist sichtlich erleichtert. Nur weil Juliane Nagel und Nam Duy Ngyuen ihre Direktmandate in Leipzig gewonnen haben, sitzt die Partei überhaupt noch im Landtag. Es gab wohl auch manche in der Verwaltung, die nicht damit gerechnet haben, dass wir hier ankommen. Weil die eine oder andere uns ausgeplant hatte. Nun wegen euch zweien alles wieder durcheinanderzubringen. Für den Überraschungseffekt sorgte v.a. er: Nam Duy Ngyuen aus Leipzig hat am Sonntagabend zum ersten Mal seinen Einzug in den Landtag gefeiert. Ich bin ganz glücklich. Und ich bin stolz auf die Arbeit von euch. Ich freue mich v.a., weil das auch euer fucking Direktmandat ist. Nguyen ist ein politischer Newcomer, Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter Wahlkampf für Nguyen: Eine Kampagne von Campact e.V. hat unterstützt und nun die erste nicht-weiße Person im sächsischen Landtag. Aus dem Stand hat er mit knapp 40% der Stimmen in seinem Wahlkreis ein Direktmandat geholt. Sein ehrenamtliches Team und er haben nach eigenen Angaben wochenlang an 50.000 Türen geklingelt. (Mann) Ja? - Hallo, wir sind von der Linken. Wir sind hier unterwegs und wollen mit den Menschen sprechen. Unterstützt wurde Nguyen auch von einer Social-Media-Kampagne von Campact e.V., die über 600.000 Menschen erreicht hat. Auch mit einer 25.000-Euro-Spende von diesem Verein, der er sich für progressive Politik einsetzt, z.B. für Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit. Ich war der einzige Kandidat unter den vielen anderen, die noch nicht im Landtag gesessen haben. Keine Diäten, keine Mitarbeiter, keine Ressourcen für Büro usw. Maßgeblich ist das Geld in unserem Wahlkampf in die Infrastruktur geflossen. Wir mussten Räume mieten und Materialien besorgen. Campact gibt es seit rund 20 Jahren. Was ist Campact e.V.? – über die Kampagne gegen die AfD Der Verein hat nach eigenen Angaben ein Budget von knapp 15 Mio. Euro, gespendet von über 250.000 Menschen. Wahlempfehlungen macht Campact häufig, zuletzt bei Landratswahlen in Thüringen und Brandenburg. In dem Fall, um AfD-Landräte zu verhindern. In Sachsen wollte Campact erreichen, dass die AfD unter 1/3 der Sitze bekommt. Deswegen sollten Linke und Grüne sicher in den Landtag einziehen durch jeweils 2 Direktmandate. Also hat Campact empfohlen, in Leipzig 2 Direktkandidaten der Linken zu wählen sowie eine Grüne und in Dresden auch einen grünen Kandidaten. Wir sprechen mit einem der Gründer von Campact, Felix Kolb. Er erklärt, wie diese Kampagne zustande kam. Uns haben nach der Europawahl besorgte Unterstützerinnen von Campact aus Leipzig und Dresden geschrieben und gesagt, sie haben tierisch Angst. Es könnte sein, dass in Sachsen die Kampagne der CDU aufgeht, die Stimmen von progressiven Parteien einzusammeln. In der Folge könnten Linke, Grüne und SPD nicht in den Landtag einziehen. Was zur Folge hätte, dass die Sitze, die diesen Parteien zugestanden hätten, auch der AfD in die Hände fallen. Und dass damit die Sperrminorität, diese destruktive Kraft, diese Vetomacht der AfD unausweichlich wird. „unguter Wettbewerbseingriff“ –Claudia Maicher, die Grünen Kolb erklärt, die Bunde- und Landesebene der Linken und Grünen hätten der Kampagne zugestimmt. Aber die einzelnen Kandidierenden seien nicht gefragt worden. Das Angebot der 25.000 Euro ging aber direkt an sie. Claudia Maicher von den Grünen hat das Geld abgelehnt. Eine Wahlempfehlung für sie gab es von Campact trotzdem, gegen ihren Willen. Wir treffen sie am Wahlabend im Leipziger Rathaus. Da ist schon klar: Alle Direktmandate wurden so gewonnen, wie die Campact-Kampagne es empfohlen hatte. Offensichtlich hat das eine große Wirkung erzielt. Was geschehen ist, ist, dass man zwischen den Linken und den Grünen einen unguten Wettbewerbseingriff gemacht hat. Der hat viele Wählerinnen und Wähler verunsichert. Das Kalkül ging also auf. Nam Duy Nguyen hat das Direktmandat geholt gegen seine Konkurrentin Christin Melcher von den Grünen. Sie hatte bei der letzten Wahl das Direktmandat klar gewonnen. Nun rückt sie nur ganz knapp über die Liste in den Landtag. Wir treffen Melcher bei der Fraktionssitzung. Taktisch wählen – wird das Schule machen? Sie ist enttäuscht darüber, dass das taktische Wählen bei der Wahl so eine große Rolle gespielt hat. Das haben mir viele Wählerinnen und Wähler gespiegelt in persönlichen Gesprächen und Nachrichten. Dass das genau die Antwort war, die sie gesucht haben in der schwierigen Gesamtgemengelage in Sachsen, etwas Konkretes gegen die AfD zu tun. Deswegen war das für viele die Antwort, dort strategisch den linken Kandidaten zu wählen, auch gegenüber ihrer eigenen Überzeugung. Dass Frau Melcher das persönlich nicht gut findet, das kann ich zur Kenntnis nehmen. Ich finde, dass das Wahlergebnis eindrücklich gezeigt hat, wie gut es war, das wir die Kampagne machten. Es ist unklar, ob wir ohne Kampagne dieses Ergebnis gesehen hätten. Ob die Grünen nicht 3 Wahlkreise gewonnen hätten und die Linke nur einen. Es ist nötig, dass Abgeordnete über ihren Schatten springen. Nicht nur ihren eigenen Wahlkreis, ihre Karriere im Blick haben. Sondern das größere Ganze, das Wohl von Sachsen. Politikwissenschaftler Lembcke sagt, diese Kampagne sei im Prinzip nichts anderes als klassischer Lobbyismus. Das Neue daran ist im Grunde, dass es eine Art zivilgesellschaftlicher Lobbyismus zur Stärkung der Demokratie ist. Das wird offen kommuniziert. Dadurch, dass das Erfolge gezeigt hat, dass man zeigt, dass man mit Ressourcen, Einsatz, Zeit und Engagement Erfolge erzielen kann, die man sich vorgenommen hat. Ich denke, das ist ein Beispiel, das kein Einzelfall bleibt, sondern wiederholt wird und Schule machen könnte. Sicherlich über Campact hinaus. Auch Juliane Nagel von den Linken hat das Geld von Campact abgelehnt. Juliane Nagel, die Linke – Kritik an der Campact-Kampagne Ihre Partei hätte die Kampagne nicht gebraucht, sagt sie. Vielleicht habe sie den Linken sogar geschadet. Ohne die Campact-Kampagne hätten wir evtl. ein 3. Direktmandat gewonnen im Leipziger Westen. Wir waren nicht zufrieden mit der Campact-Kampagne, wie nicht verhandelt, nicht gesprochen wurde mit uns. Die Linke ist wieder im sächsischen Landtag vertreten. Unklar ist, ob sie das dem engagierten Wahlkampf oder der Wahlempfehlung von Campact zu verdanken hat. Die Parteien werden einen Umgang mit solchen Kampagnen finden müssen. Copyright MDR 2024