Ein Jahr AfD-Landrat Robert Sesselmann: Wie hat sich das politische Klima verändert?

Fast ein Jahr Robert Sesselmann - Der Landkreis Sonneberg hat seit August einen AfD Landrat Der Landkreis Sonneberg im Süden Thüringens. Seit knapp 1 Jahr gibt es hier den 1. Landrat mit AfD-Parteibuch. Die Rede ist von Robert Sesselmann. Vergangenen Juni hatte sich der Jurist in einer Stichwahl gegen seinen CDU-Kontrahenten durchgesetzt. Der Landkreis Sonneberg schreibt Geschichte. Die AfD ist nunmehr als Volkspartei hier im Kommunalbereich in Thüringen und auch in der Bundesrepublik Deutschland angekommen. Sesselmann ist Mitglied des vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverbands Thüringen. Landesvorsitzender Björn Höcke war einer der ersten Gratulanten. Nazi-Shirts im Supermarkt, Rechtextreme Parolen in der Kneipe, – das neue Klima in Sonneberg In der Kreisstadt Sonneberg sind wir verabredet im Gewölbe, Bar und Veranstaltungsort. Besitzer Marcel Rocho sagt: Die Wahl eines AfD-Landrats würden einige als Legitimation verstehen, ihre Einstellung nicht mehr zu verstecken. Das ist normal, dass Gäste am Tresen sitzen, anstoßen und dabei eben "Sieg Heil" oder "Heil Hitler" oder dergleichen gerufen wird. Oder beim Betreten eines Ladens, dass man die Gäste begrüßt mit "Heil Hitler". Solche Sachen passieren hier in Sonneberg. Das haben Sie selber auch schon erlebt? Hier selber auch schon erlebt. Das ist hier auch schon vorgekommen. Vor Jahren wäre ich damit instant zur Polizei, sofort zur Polizei gegangen, hätte Strafanzeige erstattet. Mittlerweile sagt man sich, so was passiert halt. Der gebürtige Sonneberger bedauert, dass man an sich hier offenbar an solche Vorkommnisse gewöhnt habe. Man geht z.B. im örtlichen Supermarkt einkaufen und an der Kasse steht auf einmal jemand vor einem mit einem ganz eindeutigen T Shirt. Da steht riesengroß auf dem Rücken "Nazi". Und unten drunter einfach noch mal die Übersetzung dafür "Nicht an Zuwanderung interessiert". Und solche Leute haben absolut kein Schamgefühl mehr, mit solchen Aufdrucken in dieser Stadt rechtsextreme Symbole: Wehende Reichsflaggen mitten in der Stadt ganz regulär einkaufen zu gehen. Der Landkreis hat rund 57,000 Einwohner. In Sonneberg selbst tragen einige ihre Gesinnung offen zur Schau. Zum Beispiel Reichsflaggen beliebt in der rechtsextremen Szene wehen mitten in der Stadt. Beschimpft wegen Kopftuch –Diskriminierung gegen Migranten nimmt zu Andreas Beer ist Lokalredakteur für die Zeitung "Freies Wort". Auch er ist der Meinung: Seit Sesselmann im Amt ist, habe sich hier etwas verändert. Beispiel: Alltagsdiskriminierung. Was ich letztens erlebt habe, war die Geschichte von einer Frau, die mit dem Kopftuch durch Sonneberg gelaufen ist und die von zwei 13-Jährigen nenne ich das jetzt mal Teenagern beschimpft und bespuckt worden ist. Tätliche Angriffe und rechte Parolen, Fragen an Robert Sesselmann (AfD) bei AfD-Veranstaltung in Dresden darüber wollen wir mit dem Landrat in Dresden sprechen. Wir treffen ihn am Rande einer AfD-Veranstaltung am 1. Mai. Er sagt: Der Landkreis Sonneberg sei einer der sichersten in Thüringen und bezieht sich auf die Kriminalstatistik. Ich habe auch das Ohr am Bürger, ich habe nicht den Eindruck, das wird auch durch die Bürger bestätigt, dass Sonneberg, Wie läuft es in Sonneberg mit Sesselmann als Landrat? nach der Wahl des AfD-Landrats, unsicherer geworden ist. Im August letzten Jahres wurde Robert Sesselmann als Landrat vereidigt. Er ist damit oberster Beamter des Landkreises und dafür zuständig, dass die Beschlüsse des Kreistages umgesetzt werden. Vor seiner Wahl warb er mit Themen, die ein Landrat gar nicht beeinflussen kann. So forderte er bspw. Friedensverhandlungen mit Putin oder die sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber. Auf Kreisebene bremst ihn bereits diese Baustelle aus. Die Landesstraße zwischen Steinach und Lauscha wird seit letztem Jahr aufwendig saniert. Eine Flussmauer ist marode. Die Folge: eine fast 30 km lange Umleitung. Der Unmut ist groß, auch bei diesen Anwohnern. Das ist für die Geschäfte doof, das ist für die Anwohner doof, das ist für Leute, die zur Arbeit müssen. Wir machen das ja alles nicht zum Spaß. Das ist schon nervig. Sesselmann geben sie nicht die Schuld, die Probleme mit der Mauer gebe es schon länger. Eine deutlich kürzere Umleitung konnte auch der Landrat nicht realisieren, wie er letzten Oktober in einem Interview eingestehen musste: Die Zuständigkeiten sind andere, da werde ich vor die Realität gestellt, dass ich eben auch nicht in der Lage bin, dieses Problem zur Zufriedenheit aller zu lösen. Das ist schlicht und ergreifend nicht möglich. Ich lasse natürlich ein paar enttäuschte Bürger zurück. „Demokratie leben!“ – auch mit der AfD in Sonneberg? Die Erkenntnis: Seine Möglichkeiten sind begrenzt. Seit 2015 ist der Landkreis Teil des Bundesprogramms "Demokratie leben". Dabei werden in verschiedenen Projekten Vielfalt und Toleranz gefördert. Der Eigenanteil für den Kreis liegt dieses Jahr bei 32,000 Euro. Doch Robert Sesselmann wollte die Gelder zunächst nicht freigeben. Das berichtet uns Beate Meißner. Sie sitzt für die CDU auch im Kreistag. Im zuständigen Jugendhilfeausschuss habe das für Unverständnis gesorgt. Wenn man sich damit beschäftigt, weiß man, wie viel gute Dinge damit in den letzten Jahren und auch aktuell auf den Weg gebracht werden. Und dann einfach zu sagen "Nein, ich unterzeichne das jetzt nicht mehr", hat für mich kein Sinn gemacht. Und das war im Übrigen im Jugendhilfeausschuss unisono die Meinung: Dass der Landrat das wahrscheinlich nur macht, weil er keine Ahnung davon hat. Seine abwehrende Haltung erklärt sich die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses so: Die AfD hat da schon immer gesagt, dass sie von diesen Demokratieprogrammen nichts hält, weil sie eben der Meinung ist, dass damit auch linksextreme Strukturen finanziert werden, dass Busse zu Demonstrationen finanziert werden. Von daher entsteht schon der Eindruck, dass der Landrat aufgrund seiner Vorurteile hier diese Entscheidung traf oder treffen wollte. Das stimme so nicht, sagt der Landrat. Ihm sei es ausschließlich um die notwendige Haushaltskonsolidierung gegangen. Das wäre eine Möglichkeit des Sparens gewesen und die wurde in den Raum gestellt. Hier geht es nicht um das Abschaffen von sinnvollen Projekten, sondern um das Sparen im Kreishaushalt. Beate Meißner sagt, der Ausschuss habe das Programm vehement verteidigt, der Landrat habe schließlich unterzeichnet. Wir wollen mit weiteren Lokalpolitikern AfD-Werbung statt Engagement für den Landkreis – Kritik aus der Partei Die Linke ins Gespräch kommen. In der Sonneberger Geschäftsstelle der Linken treffen wir den Kreisvorsitzenden Michael Stammberger. Seine Beobachtung: Robert Sesselmann zeige wenig Engagement und würde lieber Werbung für seine Partei machen. Da geht er überall hin zu Veranstaltungen. Das ist ihm meiner Meinung nach wichtiger, als sich um den Landkreis zu kümmern. Um hier Probleme anzupacken und schnellstmöglich dann auch zu lösen. Das heißt, er ist eher auf Veranstaltungen, um für die AfD zu werben? Ja, so ist definitiv der Eindruck bei vielen. Per Mail schickt uns der Landrat seine bisherige Bilanz. So habe er bspw. die Kreisverwaltung modernisiert, Bürgernähe gesucht oder die Bezahlkarte für Asylbewerber eingeführt. Dies übrigens nicht als erster Landrat in Thüringen. rechtsoffene Demos in der Stadt mit Verknüpfungen ins Reichsbürger-Millieu Seit der Corona-Zeit demonstriert regelmäßig montags das rechtsoffene Bündnis "Sonneberg zeigt Gesicht". So auch Anfang April. Sie verstehen sich vor allem als Regierungskritiker. Wir lassen uns von ein paar Zirkusaffen in Berlin die Heimat nicht kaputt machen. An diesem Tag sind es rund 400 Teilnehmer. Auch Robert Sesselmann hat hier schon gesprochen. Lokaljournalist Andreas Beer verfolgt die Proteste. Seine Einschätzung: Da wird ja eine reine Lehre aufgemacht von Behauptungen und Glaubenssätzen, die ja eigentlich nicht taugt für die politische Auseinandersetzung. Da wird irgendeine Meinung kundgetan und das ist es aber auch. Das Wenigste davon ist ja dialogfähig. Einige Demo-Teilnehmer machen keinen Hehl auch ihrer Gesinnung. Wir entdecken ein T-Shirt der Rechtsrockband "Landser". Und das Tattoo einer Triskele. Wegen der Ähnlichkeit zum Hakenkreuz beliebt in der rechtsextremen Szene. Auch "Freies Thüringen" ist vor Ort. Eine Plattform, die zu Protesten mobilisiert, den Staat de-legitimiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Es gibt Kontakte ins Reichsbürgermilieu. Gegen Ende der Veranstaltung versuchen wir mit Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Was sagen sie zu Robert Sesselmann. Geht auf die Leute zu. Er ist am Anfang belächelt worden als Partyclown oder so ähnlich. Aber er geht halt auf die Feste, unterhält sich mit den Leuten, so wie e sich eigentlich gehört. Das finde ich in Ordnung. Der Landrat erfährt hier großen Zuspruch. „Stoppt die AfD“ – Bündnis „Sonneberg zeigt Haltung“ reagiert auf den Rassismus in der Region Dass die AfD öffentliche Ämter besetzt, bereitet wiederum anderen Sonnebergern große Sorge. Vergangenen Monat demonstriert das Bündnis "Sonneberg zeigt Haltung". Die Teilnehmer stehen ein für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Unter ihnen ist auch Margret Sturm. Hass und Anfeindungen gegen Augenoptikerin in Sonneberg - Sie positionierte sich gegen Rechts Das 1. Mal trafen wir die Augenoptikerin kurz nach der Wahl Sesselmanns. Vor einigen Jahren hat sie als Parteilose für die Linke für den Stadtrat kandidiert. Ein AfD-Mitglied als Landrat ist für sie ein Desaster. Wir waren mal Weltspielzeugstadt, wir waren mal weltoffen. Was sind wir jetzt? Eine braune Region. Es ist peinlich, es ist wirklich abgrundtief peinlich. Kurz nach Ausstrahlung des Interviews überschwappt Margret Sturm eine Welle des Hasses. Hier Nachrichten vom Anrufbeantworter, ein Auszug. "Die ganzen Leute schlecht machen, das kannste, du Großfresse. "Schämst du dich nicht, du rote Sau, du!" "Du rotes Schwein. Du Schlampe, du dreckige!" Der Staatsschutz hat ermittelt, die Akten werden demnächst der Staatsanwaltschaft übergeben. Wie geht’s weiter in Sonneberg? Auf der Demo ist sie froh, nun so viele Gleichgesinnte zu treffen. Heute sind es etwa 350 Teilnehmer. Es freut mich unheimlich, dass so viele Leute langsam aufstehen. Gegen diese rechte Bedrohung, muss man ja auch sagen. Dass die Kirchen auch dabei sind. Verbände, Frauenvereine. Also ganz toll. Anfang des Jahres haben sie sich gegründet, als es deutschlandweit zu Protesten gegen Rechtsextremismus kam. Die nächste Kundgebung ist bereits geplant. Auch Barbesitzer Marcel Rocho hat öffentlich Kritik geäußert und wurde daraufhin angefeindet. Für einige ist er ein Nestbeschmutzer. Für mich ist es wichtig zu sagen, was in dieser Stadt falsch läuft, damit Leute, die es aus den Augen verloren haben, vielleicht noch mal genauer hinschauen und ggf. auch sagen: "So darf es hier nicht laufen".